Positive Psychologie

Definition

Positive Psychologie ist die wissenschaftliche Untersuchung positiver Aspekte des menschlichen Lebens. Sie beschäftigt sich unter anderem mit den Grundlagen eines „guten Lebens“, mit dem, was das Leben lebenswert macht und mit begünstigenden Eigenschaften und Bedingungen des Wohlbefindens. In erster Linie werden deshalb Determinanten der Zufriedenheit beschrieben, gemessen und Interventionen für psychisch gesunde Menschen entwickelt, um deren Lebenszufriedenheit zu steigern bzw. zu stabilisieren. Die positive Psychologie hat zum Ziel, die Psychologie zu vervollständigen, indem sie bisher vernachlässigte Bereiche erforscht und sich beispielsweise mit Charakterstärken, Tugenden, Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit, positiven Emotionen und Talenten befasst.

Wozu braucht es die Positive Psychologie?

Seit dem zweiten Weltkrieg konzentrierte sich die Psychologie vor allem auf menschliche Probleme und deren Behebung, wobei die Erforschung dessen, was im Leben gut läuft, vernachlässigt wurde. Die Positive Psychologie möchte daher mehr Ausgewogenheit schaffen, indem der Fokus auch auf Stärken und positive Eigenschaften und Erfahrungen im Leben gelegt wird. Es soll also auch erforscht werden, wie ein Leben erfüllend gestaltet und das Beste im Leben geschaffen werden kann.

Vorläufer und Geschichte der Positiven Psychologie

Die Geschichte der Positiven Psychologie reicht bis zu antiken Philosophen zurück, die sich in ihren Schriften bereits mit dem guten Leben, Tugenden und der Erfüllung im Leben befasst haben. Aristoteles hat sich beispielsweise vor über 2300 Jahren mit dem Studium des Glücks (Eudaimonie) auseinandergesetzt. Sein einflussreiches Werk „Nikomachische Ethik“ (Aristoteles, 2000) prägt bis heute Vorstellungen von Wohlbefinden. Seiner Auffassung nach sind die Kultivierung von Tugenden und im Einklang mit ihnen zu leben Bedingungen für das gute Leben. Er war davon überzeugt, dass nicht nur die Entwicklung von Charakterstärken und Tugenden und die Realisierung dieser in einer immer perfekteren und komplexeren Art und Weise, sondern auch der Einsatz dieser Charakterstärken und Tugenden für andere Menschen oder einem höheren Zweck, zum Erleben von Glück führt. Jedoch treten Tugenden nicht natürlich im Menschen auf, sondern müssen durch Bildung und Gewohnheit erlangt werden (Jørgensen & Nafstad, 2005). Ob ein Individuum sein ganzes Potential realisieren wird, hängt grösstenteils von ihm selbst ab. Auch Religionsgründer und TheologInnen beschäftigten sich mit der Bedeutung des guten Lebens und damit, wie man es erreicht. Sie traten dafür ein, dass man seinen Dienst an Jemanden, an der Menschheit und einer höheren Macht oder für einen grösseren Zweck ausüben solle. Während des frühen 20. Jahrhunderts interessierte sich die aufkommende wissenschaftliche Psychologie unter anderem auch für Hochbegabung, Talente und die erfüllende Lebensgestaltung. Obwohl das Verständnis für das „gute Leben“ auch durch Vertreter der humanistischen Psychologie wie Carl Rogers, Abraham Maslow und den Logotherapiebegründer Viktor Frankl erweitert wurde, gerieten diese Themen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend in den Hintergrund. Trotz vieler Ähnlichkeiten zur humanistischen Psychologie entschieden sich die „Gründerväter“ der Positiven Psychologie, Seligman und Csikszentmihalyi, dazu, die Positive Psychologie von der humanistischen Psychologie abzugrenzen, weil sie die mangelnde empirische Überprüfung der humanistischen Ideen kritisierten. Erstmals verwendete Abraham Maslow 1954 den Begriff „Positive Psychologie“, welcher von Martin Seligman 1998 in seiner Ansprache für die American Psychological Association wieder aufgegriffen wurde: Zur Reduktion des entstandenen Ungleichgewichts in der Psychologie solle der Erforschung der positiven Aspekte des Lebens wieder vermehrt Aufmerksamkeit gewidmet werden. Diese Bestrebungen fasste Seligman unter dem Schlagwort „Positive Psychologie“ zusammen. Kurze Zeit später erschien ein Sonderheft des „American Psychologist“ zur Positiven Psychologie (Seligman & Csikszentmihalyi, 2000). Dieses Ereignis wurde zum Startschuss für neue Forschungsprojekte und zahlreiche Veröffentlichungen. Zwischen 1999 und 2013 wurden 565 (42%) nicht-empirische und 771 (58%) empirische Artikel publiziert (Donaldson, Dollwet & Rao, 2015). 77% der Artikel wurden in westlichen englischsprachigen Ländern publiziert. Die restlichen 23% wurden in 46 Ländern aus Europa, Asien und Afrika veröffentlicht. Die meisten Publikationen stammen von der University of Pennsylvania, gefolgt von der University of Michigan, der University of Kansas, der Universität Zürich, der University of Sydney und der University of Warwick. Die Forschungsinteressen der Positiven Psychologie liegen vor allem in der Erforschung dessen, was Menschen glücklich und zufrieden macht. Die Ergebnisse deuten auf viele verschiedene Prädiktoren für Wohlbefinden (Donaldson, Dollwet & Rao, 2015) hin. Zudem werden auch häufig die Auswirkungen verschiedener positiver Konstrukte auf Leistung und Interventionen untersucht. Positive Psychologie ist ein wachsendes und pulsierendes Gebiet, welches sich strenger wissenschaftlicher Methoden bedient und danach strebt Wohlbefinden, Exzellenz und das optimale menschliche Funktionieren zu untersuchen und die Ergebnisse auch publik zu machen. Im Jahr 2002 wurde ein Handbuch für Positive Psychologie (Handbook of Positive Psychology, Snyder & Lopez, 2002) veröffentlicht, worauf weitere Handbücher wie zum Beispiel das Buch „Character strengths and virtues“ (Peterson und Seligman, 2004) über die Klassifikation von Charakterstärken und Tugenden oder das Handbuch „Positive psychology in practice“ (Linley und Joseph, 2004) folgten. Darüber hinaus gibt es mehrere Sammelbände zu verschiedenen Themen der Positiven Psychologie: „A psychology of human strengths: Fundamental questions and future directions for a positive psychology“ (Aspinwall & Staudinger, 2003), “Positive Organizational Scholarship” (Cameron, Dutton & Quinn, 2003), “Flourishing” (Keyes & Haidt, 2002) und “Positive psychology: The scientific and practical explorations of human strengths” (Lopez & Snyder, 2006), um nur einige zu nennen. Des Weiteren sind zahlreiche neue wissenschaftliche Zeitschriften herausgegeben worden, die sich Themen der Positiven Psychologie widmen, darunter The Journal of Positive Psychology, das Journal of Happiness Studies, das International Journal of Applied Positive Psychology oder Applied Psychology: Health and Well-Being. Zudem gibt es weltweite Konferenzen und Meetings, nationale und internationale Gesellschaften (z.B.: https://www.swippa.ch/de/, https://www.ippanetwork.org/ oder https://enpp.eu/), und Studiengänge (z.B.: https://www.psychologie.uzh.ch/de/fachrichtungen/perspsy/CAS.html).

Kritik

Was heisst „positiv“?

Die Verwendung der Wörter „positiv“ und „negativ“ innerhalb der Positiven Psychologie führt häufig zu Missverständnissen (Vázquez, 2013). Beispielsweise wird der Begriff „Positive Psychologie“ häufig mit der Annahme begleitet, die restliche Psychologie würde sich nur mit negativen Inhalten auseinandersetzen. Des Weiteren werden auch die Bezeichnungen „positive“ und „negative“ Emotionen kritisiert, weil sie häufig mit guten und schlechten Emotionen gleichgesetzt werden. Die Verwendung von den Begriffen „positiv“ und „negativ“ ist jedoch auch in etablierten Emotionstheorien geläufig; beispielsweise spricht man von positiver oder negativer Valenz (emotionaler Wert, der mit dem Reiz verbunden ist). Darüber hinaus gibt es genau genommen weder gute, noch schlechte Emotionen; die Bedeutung oder Effekte von Emotionen hängen vom Kontext ab. Emotionen können je nach Kontext, Kultur, Dosierung oder aufgrund anderer psychologischer Variablen unterschiedliche Effekte haben. Eine genaue Analyse der Bedeutung des grundlegendsten Konzepts der Positiven Psychologie – des Positiven – ist für die Weiterentwicklung der Positiven Psychologie entscheidend (Pawelski, 2016). Pawelski beschreibt sechs unterschiedliche Bedeutungen des „Positiven“, und zwar die positive Ausrichtung (ergänzend zum negativem Fokus der Hauptströmungen der Psychologie), die positiven Bereiche (z. B. Optimismus, Mut, soziale Verantwortung), die positive Zielpopulation (primär nicht-klinische Population), der positive Prozesstyp (Aufbau guter Qualitäten) und das positive Ziel (das gute Leben verstehen und fördern) der Positiven Psychologie. Zudem wird betont, dass das Positive nicht auf das Negative reduzierbar ist. Betrachtet man das Wort „positiv“ auf lexikalischer Ebene, dann leitet es sich vom lateinischen Verb „pono, ponere“ ab. Dieses bedeutet etwas präsent machen. Im späteren Gebrauch nahm es auch die Bedeutung einer Präferenz, etwas Wünschenswerten oder etwas Guten an. Man kann das Positive in direktes (Präsenz des Präferierten) und indirektes (Absenz des Dispräferierten), ideales (aus eigenem Antrieb) und kontextuales (aufgrund von Umständen) und instrumentelles (als Mittel für eine wünschenswerte Konsequenz) und nicht-instrumentelles (um der Sache Willen, der Weg ist das Ziel) Positives unterteilen. Normativ sollte das Positive in der Positiven Psychologie schlicht als Präferenz, aber auch als Grad der Präferenz aufgefasst werden. Dieser hängt von verschiedenen Kriterien ab, nämlich von der relativen Präferenz, der Aufrechterhaltung über die Zeit, über Personen, über Auswirkungen und über Strukturen hinweg.

Was ist „neu“ an der Positiven Psychologie?

Manchmal erscheinen die Befunde der positiven Psychologie so augenscheinlich, dass man meinen könnte, sie gehe nicht über einen gesunden Menschenverstand hinaus. Zudem wird kritisiert, dass viele philosophische und psychologische Traditionen positiv psychologische Konzepte geprägt haben und die Möglichkeit, „Neues“ in diesen Themengebieten zu erforschen, aufgebraucht sei. Ein Anknüpfen an diese Erkenntnisse und ein vertieftes und differenziertes Studium früherer philosophischer Ansichten ist jedoch eine Quelle für neue Befunde. Zudem ist es nicht nur wichtig, Behauptungen, die sich auf den „gesunden Menschenverstand“ berufen, zu überprüfen, sondern auch philosophische Ideen wissenschaftlich zu verifizieren.

Was ist die Positive Psychologie nicht?

Eine der grössten Herausforderungen der Positiven Psychologie ist es, zu beschreiben und zu erklären was „gut“ ist, ohne dabei vorzuschreiben. Positive Psychologie möchte auf der Basis empirischer Forschungsergebnisse aufzeigen, welche Bedingungen für ein bestimmtes Ziel „gut“ bzw. förderlich sind, und dennoch betont sie die Wichtigkeit, dass der Einzelne, die Gesellschaft, eine Kultur entscheidet, was als „wertvoll“ oder „gut“ gilt. Die Positive Psychologie möchte auf Basis von wissenschaftlichen Daten eine nuancierte Sichtweise des guten Lebens bieten ohne dafür ein Patentrezept zu erstellen. Positive Psychologie nimmt eine objektive Haltung ein, indem sie sowohl die guten als auch die negativen Seiten des Lebens beleuchtet und sich von nicht-empirisch gegründeten Ratschlägen (wie zum Beispiel häufig in Selbsthilfeliteratur oder in der Esoterik zu finden) distanziert.

Referenzen

Aristoteles (2000). Nicomachean ethics (R. Crisp, Trans.). Cambridge, UK: Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/CBO9780511802058

Donaldson, S. I., Dollwet, M., & Rao, M. A. (2015). Happiness, excellence, and optimal human functioning revisited: Examining the peer-reviewed literature linked to positive psychology. The Journal of Positive Psychology, 10, 185–195. https://doi.org/10.1080/17439760.2014.943801

Froh, J. J. (2004). The history of positive psychology: Truth be told. NYS Psychologist, 16, 18–20.

Gable, S. L., & Haidt, J. (2005). What (and why) is positive psychology? Review of General Psychology, 9, 103–110. https://doi.org/10.1037/1089-2680.9.2.103

Jørgensen, I., & Nafstad, H. E. (2004). Positive psychology: Historical, philosophical, and epistemological perspectives. In P. A. Linley & S. Joseph (Eds.), Positive psychology in practice (pp. 15–34). Hoboken, NJ: John Wiley & Sons. https://doi.org/10.1002/9780470939338.ch2

Linley, P. A., Joseph, S., Harrington, S., & Wood, A. M. (2006). Positive psychology: Past, present, and (possible) future. The Journal of Positive Psychology, 1, 3–16. https://doi.org/10.1080/17439760500372796

Seligman, M. E., & Csikszentmihalyi, M. (2000). Positive psychology. An introduction. The American Psychologist, 55, 5–14. http://dx.doi.org/10.1037/0003-066X.55.1.5

Pawelski, J. O. (2016). Defining the “positive” in positive psychology: Part I. A descriptive analysis. The Journal of Positive Psychology, 11, 339–356. http://dx.doi.org/10.1080/17439760.2015.1137628

Pawelski, J. O. (2016). Defining the “positive” in positive psychology: Part II. A normative analysis. The Journal of Positive Psychology, 11, 357–365. http://dx.doi.org/10.1080/17439760.2015.1137627

Peterson, C. (2006). A primer in positive psychology. New York, NY: Oxford University Press.

Vázquez, C. (2013). Positive psychology and its enemies: A reply based on scientific evidence. Papeles del Psicólogo, 34, 91–115.

Waterman, A. S. (1993). Two conceptions of happiness: Contrasts of personal expressiveness (eudaimonia) and hedonic enjoyment. Journal of Personality and Social Psychology, 64, 678–691. http://doi.org/10.1037/0022-3514.64.4.678

Links

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Unter folgendem Link http://www.authentichappiness.org befindet sich eine englischsprachige Lernplattform zur Positiven Psychologie. Es werden Videos, Lektüren, Fragebögen und Veranstaltungen uvm. angeboten.